Fünf französische Flohmarkt-Funde

Version 2

Noch mehr als Alliterationen liebe ich Musik-Beutezüge auf Flohmärkten. Vor einer Weile hatte ich in der Hinsicht einiges Glück im französischen Norden.

Der „Brocante“ fand auf einer langen Wohnstraße in irgendeinem winzigen Dorf statt und im Angebot waren vor allem Kinderklamotten und so. Ich aber suchte nur nach kleinen 7“-Platten. Ich liebe diese Singles – und nach meiner Erfahrung ist öfter etwas Gutes in den Schuhkartons zu finden als in den Kisten mit Alben und Maxis. Und sie sind billig.

Ich reise schon immer gerne nach Frankreich und habe auch eine Schwäche für französische Musik. Ich würde mich zwar niemals als Experten für die Musik der Grande Nation bezeichnen, aber ein wenig weiß ich schon über dortige Musiker und Bands. Daher achtete ich beim Stöbern in den staubigen Kisten auf Namen, Labels und Cover.

Schnell war mir klar, dass keine Gainsbourg-Juwelen auftauchen würden. Alles deutete auf die vor allem an Pop und Charts orientierten Kaufgewohnheiten ganz normaler Leute hin, die in den späten 70ern und 80er Jahren Kids und Teenager waren. Doch da zu jener Zeit Singles das bevorzugte Musik-Format waren, gab es eine schöne Vielfalt zu entdecken.

Etwa eine Stunde und acht verschiedene Stände später hatte ich 29 Singles zu je 50 Cent. Jetzt, wo ich alle gehört habe, muss ich feststellen: Es gibt schlechte (keine Liebe für den Bossa-Pop von Niagara, und Stacey Q – was habe ich mir nur gedacht?!), ein paar gute, und einige Perlen. Von letzteren hier die fünf französischen, die ein paar Worte wert sind.

Les Rita Mitsouko – Andy

Fangen wir mit etwas relativ Bekanntem an. Les Rita Mitsouko waren ein echt wildes und lustiges Duo, damals so in etwa die Anti-Roxette. Und sie hatten Hits, sogar in Deutschland und den USA, wie zum Beispiel der große Dance-Tune „Marcia Baila“ oder „C’est comme ca“ und eben Andy von ihrem zweiten Album „The No Comprendo“ 1986 – produziert von niemand Geringerem als Tony Visconti, dem Mann hinter vielen Bowie-Hits. „Andy“ ist eine echte kleine Prince-Hommage, ein richtiger Song über einen schwierigen Typen, verwurstet in eine sperrig-schräge Funk-Nummer. Dies war tatsächlich der eine Tune, bei dem ich mir im Vorfeld absolut sicher war, ihn auf jenem Flohmarkt zu finden.

Black Soul – Disco Music

Die universellsten Band- und Song-Namen aller Zeiten und eine Gang schwarzer Männer, die auf dem Cover den Random White Dude (sehr wahrscheinlich der Produzent?!) umrahmt – das musste einfach gut sein! Und richtig, auf der Single sind zwei schöne, treibende Disco-Stücke mit tollen Bläsern und Vocals von 1977. Das Internet bietet nicht viel Info dazu, die Band hat Verbindungen nach Afrika und Frankreich, und es gab sie wohl von ’75 bis ’81. Nach dem Namen werde ich weiter Ausschau halten. Die Single zeigt das stylische Vogue-Logo – in den 50ern als Jazz-Label „Disques Vogue“ gegründet, hat Vogue in den 70ern und 80ern viele bahnbrechende Pop-, Punk- und Indie-Platten veröffentlicht. Allein unter den fünf hier präsentierten Platten sind drei von Vogue.

Sorry, kein Video zu finden!

Le Club – Un Fait Divers Et Rien De Plus

Die hier kaufte ich wegen des Band-Namens – niemand nennt sich ohne Grund „Le Club“ – und des Vogue-Logos und des coolen Covers und der Tatsache, dass jemand DANCE darauf geschrieben hatte. Es stellte sich als echter Knaller heraus. Ein gut produzierter elektronischer Funk-Tune von 1982, klar von US-amerikanischem frühem Rap und Electro beeinflusst, aber sehr eigenständig. Die Vocals sind mehr Gesang als Rap – und wer den nicht mag, für den gibt es auf der B-Seite einen tollen instrumentalen Remix. Insgesamt ein Tune, der auch in einem DJ-Set von Dam-Funk laufen könnte. Angeblich wurde die Platte zu ihrer Zeit eine halbe Million mal verkauft. Um Catherine Deneuve im Intro zu dem unten stehenden Video-Clip zu zitieren: „C’est intéressant!“

Lio – Le Banana Split

Als ich einst anfing, für Musik-Magazine zu schreiben, führte ich ein Interview mit Jay Alanski, der damals gerade sein Ambient-Projekt A Reminiscent Drive startete. Ein sehr netter und positiver Typ, der unter anderem davon sprach, mit Lio gearbeitet zu haben. So erkannte ich seinen Namen auf dem Cover und nahm den „Banana Split“ mit. Ein irgendwie typisch französischer (eigentlich belgischer) Pop-Moment – wieder von den A&R-Dons bei Vogue – der damals eine Million mal verkauft wurde: Eine Teenagerin singt einen eindeutig zweideutigen Text, begleitet von einem hektischen Yé-Yé-Arrangement. Viel zu schnell für meinen Geschmack, also spiele ich die Single auf 33 rpm (und auf +8 gepitcht) und sie wird zu einem pumpenden 123-BPM-Techno-Track mit einem gelangweilten Sänger. Funktioniert bestimmt prima auf einer Kompakt-Party.

Indochine – Tes Yeux Noirs

Indochine waren im Frankreich der 80er eine große Band, ich erinnere mich daran, dass sie die französischen Cure genannt wurden. Und dann stoße ich auf die hier und bin sofort vom Cover fasziniert, das von Pierre et Gilles stammt – wobei es ein mildes Beispiel für ihre Arbeit ist. Der Song ist ein einprägsamer Pop-Tune, der von mir sehr wahrscheinlich auf einem zukünftigen Festival aufgelegt wird und für Hände in der Luft und Umarmungen zum Sonnenuntergang sorgen soll. Und damit fordere ich dazu auf, diesen total sinnlos-durchgeknallten Video-Clip zum Song von 1985 anzuschauen, bei dem – echt! – Serge Gainsbourg die Regie geführt hat. Der rauchende alte Schlawiner taucht sogar selber für einen kleinen Fremdscham-Moment darin auf. Vive la France!